Wie sollten wir ein menschlichen Embryo beschreiben um diesen in seinem Wesen zu verstehen?
Mit anderen Worten: ein Artikel über die Phänomenologie des menschlichen Embryos
Das artikel lesen mit Abbildungen und/oder herunterladen? Öffnen Sie das Link unten an diesem Text.
Was ich sehe, ist nur die Bedeckung, die Hülle.
Das Wichtigste ist … unsichtbar.
Aus: Der kleine Prinz von Antoine de Saint-Exupéry
Einleitung
Nach meinem Medizinstudium wurde ich zum Anatomen und Embryologen ausgebildet. Gleich von Anfang an zogen mich die Formen und Metamorphosen des menschlichen embryonalen Körpers in ihren Bann. Stufenweise wurde ich beteiligt in den Diskussionen über den moralischen Status des Embryos betreffend der neuen Techniken, die entworfen wurden, um die Zeugung und den Embryo selbst zu manipulieren. Ich fing an, über die Fragen betreffend Seele und Körper, Geist oder Stoff in Bezug auf die Tatsachen und Eigenschaften des sich entwickelnden Embryos nachzudenken. Was tun wir wirklich als menschliches Wesen, wenn wir Embryo sind?
Im Jahre 1985 traf ich Leute wie Professor Steven de Batselier, einen Psychotherapeuten, der in der Abteilung Kriminologie der Universität von Leuven in Belgien lehrte. Er machte mich mit den Ideen und Konzepten der so genannten ‘pränatalen Psychologen’ wie Maarten Lietaert Peerbolte, Robert Laing und Nandor Fodor bekannt. Diese Psychotherapeuten brauchen in ihren Arbeiten Bezeichnungen wie ‘pränatale Erfahrung’, ‘fötale Psyche’, ‘Konzeptionsschock’ (‘conception shock’) und ‘pränatale Psychologie’. Sie erweitern die Reichweite des menschlichen Bewusstseins und der Erkenntnis über Grenzen, die normalerweise durch die zeitgenössische medizinische Biologie gezogen werden, hinaus. Nicht nur die medizinischen Biologen, fast jede ‘gesund denkende’ Person ist heutzutage überzeugt, dass das Nervensystem im Allgemeinen und das menschliche Gehirn Im Besonderen der Kern des menschlichen Geistes und des menschlichen Bewusstseins, der menschlichen Psyche oder ‘Seele’ ist. Viele Leute halten es für eine ‘Tatsache’, dass menschlicher Geist und menschliches Bewusstsein eine Art Produkt des Gehirns sind. Oder manchmal sehr primitiv und einfach ausgedrückt: „Wie Drüsen Hormone absondern, sondert das menschliche Gehirn Verhalten und Persönlichkeit ab“.
Im typisch kartesianistischen Denken werden das Gehirn und die Wirkung des Zentralnervensystems als Ursprung, als ‘Ursache’ menschlichen Verhaltens und der Psyche angesehen. In dieser Philosophie sind ‘Psyche’, ‘Seele’ auf rein physiologische Prozesse reduziert worden. Im Paradigma der Naturwissenschaft wird die Seele oder Psyche (dem kartesianistischen Bereich der res cogitans zugeordnet) als ‘nichts anderes betrachtet wie’ eine Angelegenheit der Gehirntätigkeit und folglich nur dem Bereich der res extensa angehörend. Andererseits könnte man auch angeben (damit den Philosophen DelaMettrie paraphrasierend), dass der Mensch nicht einen Geist hat, aber ein geistiges Wesen ist und dass alle medizinischen Experimente hinsichtlich der Wirkung des Gehirns nicht prüfen, ob der Geist oder die Seele nur im Gehirn oder in der Hirnrinde beschränkt lokalisiert sind. Ich wurde mir der philosophischen Möglichkeit bewusst,ein wirkendes, funktionierendes Gehirn mindestens wie eine notwendige, aber nicht genügende Bedingung für etwas wie Psyche oder Geist zu betrachten.
Die dualistische Ansicht über Geist und Körper wird durch den Embryo und das embryonale Dasein mindestens herausgefordert. Denn wie soll ein Embryo ‘Geist oder Seele haben’, wenn er noch nicht einmal die Formen eines aktiv wirkenden Gehirns besitzt oder wenn das Nervensystem in dieser Phase des menschlichen Daseins ‘nichts anderes ist als’ einen langer Schlauch mit einigen ‘Gehirnbläschen’ und einigen herauswachsenden Verlängerungen (zukünftigen Nerven)? Folglich hat der Embryo für die meisten Leute eine Art ‘halbes Dasein’, repräsentiert er eine Phase, in welcher der Mensch ‘noch nicht ganz vollständig oder völlig da’ ist. Entsprechend der Grundregel ‘des Gehirntodes’ wird der Embryo als ‘geistlos’ betrachtet, was sehr häufig als ‘nicht menschlich’ im moralischen oder ethischen Sinne gedeutet wird.
Also für mich als Embryologe waren die Gedanken von Leuten wie De Batselier und Lietaert Peerbolte eine direkte Konfrontation mit dem Paradigma oder ‘Denkrahmen’ der medizinischen Biologie. Wie meinen solche Denker dass ein Embryo, in Hinsicht auf ‘Psyche’, auf ‘Erfahrung’ und auf ‘Verhalten’, existiert? Wie soll ich als Embryologe eine Aussage wie die von Laing erklären, wenn er sagt: „Könnte es so sein, dass wir während der späteren Zyklen des Lebens durch Umwandlungen oder Veränderungen unserer ersten pränatalen Erfahrungen gehen, gerade noch bevor es zu speziell entwickelten neuralen Geweben in unserem Körper kommt? Kann es vielleicht so sein, dass die Muster unserer pränatalen Erfahrungen als eine Art Schablone dienen für die Muster, die später das Gewebe unseres komplizierten postnatalen Lebens Verhalten und Seele bilden?“ Wie könnte, wie soll ein Embryo in psychologischer Hinsicht funktionieren, wenn es nichts weiter gibt als ein sehr einfaches oder ‘primitives’ Nervensystem in Entwicklung? Wenn Seele, Leben und Benehmen auf ein aktives Nervensystem beschränkt oder begrenzt sind, wie könnte es einem Embryo möglich sein, Erfahrungen zu haben oder ‘sich zu benehmen’?
EMPFÄNGNIS
Ich schenkte dir gern ein Kind.
Nicht einfach
die Summe
zweier Arten Gene,
Zufall
im Strom der Zeit.
Nein …
ein Wunder,
geborgen schwebend
im Blau deines Schoßes.
Geworden,
erschaffen,
in dem Augenblick,
da ich du war,|
und du ich warst
und wir wurden
der Andere.
JvdW
Das artikel lesen mit Abbildungen und/oder herunterladen? Öffnen Sie das Link unten.