UNVORSTELBARES DASEIN I – Erzählung über ein unvorstelbares Dasein
Und so wirst du in diese Welt gebracht. Mit kompletter Hingabe bist du mit dem Sein dieser Welt verbunden. Innerhalb der Hüllen und der Plazenta findest du Sicherheit und Vertrauen. In dieser Welt wirst du im Leben verwurzelt. Diese Hüllen sind der ‘Boden’ unter deinen Füßen. Du fängst an dich zu bewegen und dein Reich zu erforschen. Die Hülle unter deinen Füßen, die Nabelschnur, mit der du gerne spielst, die weichen Wände um dich herum werden immer konkreter und fester. Stelle dir vor: Du bist (noch) ein Fötus und denkst – wann es dort und dann überhaupt ‚denken’ gibt -, du erlebst: „Das hier ist die Welt, in der ich lebe und es ist so wie es sein soll“. Warum glauben an ein Leben nach der Geburt? Wie sollte man sich so etwas vorzustellen?
Und dann …! Dann kommt ein Moment, in dem der Boden der Hüllen unter deinen Füßen zu beben beginnt und nachzugeben anfängt! Zuverlässige und sichere Anschlüsse lösen sich. Blutgefässe werden zerrissen, der Atem wird fast weggenommen! Dieser sichere Schoß, der dich trug, beginnt zu verschwinden. Du wirst aus deinem Paradies heraus getrieben! Deine Grundlagen schwanken. Es droht Gefahr. Das Wasser, das dich bisher die ganze Zeit geschützt und getragen hat, fließt ab und verschwindet. Du wirst hinaus getrieben! Hinaus? Wohin? Gibt es ein ‘Außen’, ein ‘Dort’? Es gab bis jetzt noch kein ‘Außen’, kein ‘Dort’. Es ist UNVORSTELLBAR dass es eine andere Welt und Lebensweise gibt als die in den vertrauten, geborgenen Hüllen, der du dich anvertraut hattest. Weiterleben? Anders leben? Wie? Du bist in Schmerz, in Bedrängnis, Du stirbst. …!
Aber dann …! Das UNVORSTELLBARE geschieht! Am Ende eines engen, dunklen Tunnels lebst du weiter! Es IST möglich! Luft erfüllt versengend deine Lungen, aber du kannst atmen. Unbekannte Lebensart. Es gibt Licht, harte Töne, aber auch warme Hände und Arme, die dich tragen und trösten. Du kannst auch essen, es gibt Nahrung: es gibt eine warme Brust, wodurch du wieder nach Hause kommst.
Ist es nicht die gleiche Begriffsbarriere, die uns daran hindert, über die Grenze unseres Todes zu schauen? Wie UNVORSTELLBAR ist es, dass wir weiter gehen und leben können, ohne die uns vertraute Welt, von der wir dachten (denken), sie sei DIE Wirklichkeit? Ohne diesen Körper? Unser Körper ist uns wie ein vertrautes und zuverlässiges Haus, ein Leben lang. Es ist die Welt, in der ich lebe und mich sicher fühle. Könnte es ein ‘Irgendwie sonst’, ein ‘Irgendwo sonst’ geben, ein Jenseits? Ein Bestehen ‘dort draußen’? Das kann es nicht geben, weil es (fast) UNVORSTELLBAR ist.
Stelle dir vor: Du bist wieder Fötus, in dieser Wirklichkeit, in dieser Welt! Dann kommt der Tag, an dem du durch einen engen, dunklen Tunnel gehst und in eine andere Daseinsart hinübergeführt wirst, sodass du weiter leben kannst auf der ‘anderen Seite’? Das UNVORSTELLBARE als Möglichkeit? Und wer weiß, jemand wartet dort auf dich, in dieser ‘anderen’ Welt. Du wirst dort, wie damals in der Schwangerschaft, wieder erwartet?
Geboren werden: aus dem Zusammenhang und der Gesamtheit unseres pränatalen Bestehens heraus sterben, von ‘Dort’ oder Jenseits kommend zu dem ‘Hier’, dem Diesseits. Sterben wie von ‘Hier’, vom Diesseits hinweggehen, um im ‘Dort’, im Jenseits geboren zu werden? Geboren werden und Sterben, Geburt und Tod, zwei Seiten, zwei Aspekte einer ähnlichen, von derselben Bewegung?
Bearbeitung Andrea M. Wandel (Aptitude-Academy):
Und könnte es nicht sein, dass wir „dort“ und „hier“ gleichzeitig sind und wir nur den Schleier des Vergessens benötigen, um ganz hier zu sein? Dass das Eine das Andere nährt, ohne uns dessen immer bewusst zu sein? Und manchmal, wenn wir ganz leise sind, Musik hören oder in der Natur berührt werden — spüren wir dann nicht manchmal das GANZE als ein Hauch eines tiefen Wissens, welches und durchdringt und tief atmen lässt. Ein Atmen in ein anderes Bewusstsein, welches uns ununterbrochen trägt.
September 2009